Rückblick: „Och nee, nicht schon wieder olle Kamellen.“ Maus gähnte demonstrativ und guckte statt auf die Weiße Maus in die Kirche. Was ging sie denn bitte die Orgelgeschichte an. Das interessierte doch keine Maus mehr was mal vor Jahrhunderten passierte, und mit der Gegenwart hatte das auch gar nichts zu tun. Warum sich also diese ganzen Zahlen, Daten und Fakten merken? Total unsinnig fand Maus. Außerdem war es viel spannender die Besucher der Kirche zu beobachten. Da gerade eben… „Olle Kamellen?“ Die Weiße Maus gab sich empört. Typisch Maus mal wieder! „Als Orgelmaus musst du einige Hintergründe über die Orgel wissen, dazu gehört auch die Geschichte der Orgel als Instrument an sich. Also setz dich gefälligst hin.“
„Och Menno…“, seufzte Maus und fügte sich in ihr Schicksal. Wenn ihre Großmutter DIESEN Ton anschlug war es besser zu gehorchen.
Das Wort „Orgel“ kommt aus dem Griechischen. „Organon“ bezeichnete ursprünglich ein Hilfsmittel zur Arbeit oder ein Handwerkszeug. Das konnte auch ein Musikinstrument sein. Allerdings jedes. Dabei ist die Erfindung der Orgel keine, die von einem Musiker stammt. Ktesibios, ein Ingenieur, erfand die sogenannte „Wasserorgel“. Lange Zeit benutzte man als Abkürzung fürs Instrument selbst das Wort „hydraulos“. In spätrömischer Zeit begann sich dagegen allmählich organum oder organa durchzusetzen. Dummerweise gibts im 10. Jahrhundert nach Christus auch noch andere Dinge, die mit dem Begriff Organum bezeichnet werden – eine bestimmte Art der Kontrapunktlehre und der Vokalmusik etwa. Verwechslungen sind daher vorprogrammiert. Wir Orgelmäuse können das aber natürlich unterscheiden!
Eigentlich liegt die Erfindung der Orgel relativ nahe. Menschen haben schon immer Pfeifen mit bestimmten Tonhöhen verwendet. Bindet man mehrere zusammen hat man die Panflöte. Ktebisios, der Ingenieur, musste jetzt nur noch das Problem mit der Windzufuhr lösen – ohne Luft bekanntlich keine Klänge. Die frühen Orgelmodelle besitzen eine Pumpe, die die Luft schöpft und ein Reservoir, das die Regelmäßigkeit von Luftfluss und Druck sicherstellt. Die römischen Modelle waren schon etwas weiterentwickelt – offenbar gab es bei denen zwei Pumpen mit Rückschlagventil. Um die Windstößigkeit auszugleichen, leitete Ktesibios die Druckluft in einen Metallbehälter, der unten geöffnet war und in einem größeren, wassergefüllten Behälter stand. Die Luft drückte das Wasser nach unten, so dass es im Außenbehälter stieg und nun seinerseits die Luft im Binnenbehälter unter gleichmäßigen Druck setzte, bis der Wasserspiegel in beiden Behältern gleich war. Eine schon geniale Idee. Wozu brauchten die Römer wohl Musikuntermalung, Maus?
„Maus? Hörst du mir überhaupt noch zu?“ Maus gähnte. Griechen, Römer, Wasser, Pumpen – das alles interessierte sie überhaupt nicht. Und beinahe wäre sie doch glatt eingenickt. Eifrig versicherte sie aber: „Doch, doch, natürlich höre ich dir zu.“
„Was habe ich gefragt?“
„Ähm – irgendwas mit Kunst?“, wagte Maus vorsichtig einen Vorstoß. Die Weiße Maus schüttelte den Kopf. Es war zum Schwanzausreißen! „Es ging doch irgendwie um das Malen, oder?“, fragte Maus. „Ich sprach von Musikuntermalung, Begleitung, Hintergrundmusik.“ Sie seufzte. „Wozu brauchten die Römer wohl sowas?“
„Für ihre Kirchen?“ Na ja, vielleicht auch, dachte die Weiße Maus aber bevor sie Maus weiter raten ließ, öffnete sie wieder ihren Wissensschatz…
In den Amphitheatern gab es schon regelrechte Unterhaltungsorchester. Das war zur Kaiserzeit in Rom. Seneca etwa spricht im 84. Brief von „vielstimmigen Chören“ und „starkbesetzten Blechbläserembles“. Die Wasserorgel war beliebt, mehrere Mosaike zeigen: Das Instrument wurde im Freien gespielt. Damit hatte die Orgel schon ihre erste Blütezeit erreicht. Die Völkerwanderung sorgte dafür, dass das Instrument an sich verschwand. Glücklicherweise aber nicht ganz: Im Oströmischen Reich lebte sie weiter und die Araber fanden auch an ihr Gefallen. Ex oriente lux* hieß es dann 757 – aus Byzanz schenkte der Kaiser Konstantin der V. Pippin den Jüngeren eine Orgel für das Frankenreich. Das hatte Folgen. Um das Geschenk zu kopieren rief man den Priester Georg aus Venedig herbei. Dieser muss den Orgelbau gekannt haben und gab sein Wissen an die Schüler weiter. Jetzt war man allmählich bereit die Orgel als Instrument in den Kirchen zu dulden – die Kirchenväter hatten noch gegen dieses Instrument gewettert. Seit dem 8.Jh. verbreitete sich jedoch die Orgel in der ganzen Christenheit, in Kathedralen, Abteien und Kirchen. Erste Kirchenorgeln standen in Aachen (812), Straßburg (9.Jh.), Winchester (10.Jh.).Ihren rein weltlichen Charakter verlor sie erst im frühen Mittelalter.
„Maus? Ma-haus?“ Maus zuckte zusammen. War sie nicht gerade noch in einer Arena gewesen und hatte einen Gladiator angefeuert? Oh nein! Sie war eingeschlafen! Schnell sah sie zur Weißen Maus hinüber. Hatte sie was gemerkt? Wenn, dann ließ sich die Weiße Maus nichts anmerken. „Für heute soll es dann mal genug sein. Das nächste Mal frage ich dich aber ab!“
„Ja, ja“, murmelte Maus. Das nächste Mal war ja noch so weit in der Zukunft, da musste sie sich jetzt doch keine Gedanken drüber machen. „Bin gleich wieder da!“, rief sie und bevor die Weiße Maus fragen konnte, was denn jetzt schon wieder war – zack! Husch! Weg! „Oh Stephanus, oh Stephanus“, seufzte die Weiße Maus, „du Ahne aller Orgelmäuse – was soll ich nur mit diesem Kind anfangen?“
*Ex Oriente Lux – aus dem Osten kommt das Licht. Bezieht sich zwar eigentlich auf den Sonnenaufgang, wird aber im Verlaufe der Geschichte gerne mal aufs Christentum oder auf die Aufklärung bezogen.