Griaß Gott! Unser Weg führte unsere Abenteurerin, die graue Maus, von Regensburg nach Bautzen. In Regensburg hatte unsere Geschichte vor einigen Wochen mit der Weißen Maus, Großmutter und Mentorin der grauen Maus, begonnen. Die junge Maus sollte demnächst die Nachfolge als Orgelmaus in der Regensburger Minoritenkirche antreten. Aber sie gelüstete es nach aufregenden Erlebnissen. Sie geriet von einem Schlamassel in den nächsten. Doch dabei blieb es nicht. Eine turbulente Zeit brach an, eine Fahrt ins Unbekannte: nach Bautzen in die Werkstatt eines Orgelbauers.
Ein Bratwürstl. Mhhh … Das wär’s jetzt! Maus dachte an die Leckereien, die zu Hause so selbstverständlich gewesen waren. Ihr Magen schmerzte vor Hunger. Sie huschte suchend durch die Werkstatt. Meine Güte, gab es denn nichts Essbares hier? Ob sie Kraven suchen und ihn fragen sollte? Lieber nicht. Mit einer Katze über Essen sprechen, wenn man nicht selbst gefressen werden wollte − das Risiko war ihr zu groß. Vielleicht fand sie draußen etwas. Ihr Blick fiel auf die Katzenklappe in der Werkstatttür. Das dürfte gehen. Maus zwängte sich durch die Klappe. Ihre Schnurrhaare zuckten. Es war ein freundlicher Tag. Irgendwo zwitscherten Spatzen munter. Maus sah ein langgestrecktes Gebäude. Hinter einem der Fenster ließen sich die Silhouetten einiger Menschen erahnen. Von denen hatte sie allerdings nun erstmal genug. Sie rannte leise zur nächsten Ecke und sah zwei Menschen, die direkt auf sie zuzusteuern schienen. … und, da ein Schatten über ihr, zwei Krallen packten sie und − WUSCH! − ging es in die Höhe. Maus blieb beinahe das Herz stehen und sie brachte keinen Piep heraus.
Die Eule wunderte sich etwas über das leichte Gepäckstück in ihren Krallen. Die Wanderratten, die sie normalerweise vor den Menschen beschützte, waren kompakter und größer. Athena, so hieß die Eule, hatte zugebenermaßen nicht richtig hingesehen, als sie den Nager packte. Es war reiner Zufall, dass sie am Tag unterwegs war. Kraven hatte ihren Schlaf gestört und ihr irgendeine wirre Geschichte erzählen wollen. Um ihn loszuwerden (sein ausholendes Geschwurbel ging ihr an manchen Tagen einfach auf die Nerven), flog sie los, um sich einen anderen Schlafplatz zu suchen. Da sah sie aus dem Augenwinkel eine vertraute Situation: Nager, Menschen, Gefahr. Klarer Fall für eine Eule in geheimer Mission.
Sie landete in einem ihrer Schlupfwinkel und legte das schreckstarre Mäuslein vor sich hin. Eine Maus. Keine Wanderratte. »Frisst du mich jetzt?« fiepte der kleine graue Nager. Im selben Moment knurrte laut ein Magen. Athena schmunzelte innerlich. (Eulen müssen das innerlich machen, denn mit einem Schnabel schmunzelt es sich schwerlich.) Ihr Magen war es nicht. »Nun, nun, Maus, beruhige dich. Ich werde dich nicht fressen. Aber mir scheint, dass du dringend etwas zu fressen brauchst, hm?« Maus verstand gar nichts mehr. Erst ein Kater, der sie nicht fressen will. Nun eine Eule, die sie ebenfalls nicht fressen will. Das musste nun wirklich ein Traum sein. Aber konnte man im Traum einen solchen Hunger haben? Maus jammerte leise.
Die Eule kramte in einer Ecke herum und kam mit einem Kanten Brot wieder. »Hier, fürs Erste. Ich war nicht auf Gäste eingestellt, aber ich werde sehen, was ich nachher organisieren kann.« Maus knabberte erst zögerlich, dann mit großem Eifer am Brot. Oh, tat das gut! Als der erste Hunger gestillt war, regte sich wieder ihr Misstrauen. »Gäste?« quietschte sie, »Aber … du bist doch eine Eule. Du frisst Mäuse. Ich verstehe das nicht. Das ist doch alles verrückt!«
Athena blickte gütig auf die aufgelöste Maus hinab. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte dieses zerzauste Mäuslein in der letzten Zeit einiges mitgemacht. »Ich mache dir einen Vorschlag, Maus. Hast du eigentlich keinen Namen? Ach, das klären wir später. Also, ich heiße Athena und bin eine Hüterin. Deshalb fresse ich keine Mäuse. Auch keine Ratten, im Übrigen. Später erkläre ich dir alles. Nun schlaf‘ erstmal. Du siehst aus, als habest du ein wenig Ruhe dringend nötig. Während du dich ein wenig erholst, besorge ich uns etwas zu fressen. Da drüben kannst du dich hinlegen. Dort bist du sicher. Kein Mensch hat dort Zugang. Und übrigens auch keine Katze, solltest du dich deswegen sorgen.« Maus fühlte sich in der Tat völlig erschöpft. Was soll’s? Wenn das ein Traum war, wäre sie beim Erwachen wieder in Regensburg und sie ginge zum ersten Mal glücklich und erfreut zum Orgelmausunterricht. Und wenn sie gefressen würde? Maus gähnte. Sei’s drum …
Die Eule schaute auf das kleine, leise schnarchende Pelzbündel hinunter. Vorm Einschlafen hatte die Maus noch etwas von ihrer Orgel gefaselt. Aha. Wenn sie nicht alles täuschte, war die Maus keine gewöhnliche Maus. Da war etwas Vertrautes in dem, wie sie sprach und wie ihre Schnurrhaare zuckten. Sie erinnerte Athena an eine andere Maus, die sie vor langer Zeit kannte. Das war ein ordentlicher Tumult damals. Falscher Stolz und Eifersucht brachte ihnen allen Zank und Hader. Athena seufzte. Falls sie mit ihrer Vermutung recht behielt, würde es Probleme geben. Es ist dumm, sich über die Welt zu ärgern. Es kümmert sie nicht. Die Eule rief sich die Worte einer anderen, weiseren Eule* als sie in Erinnerung. Aber Schluß damit. Das war schlicht nicht ihre Tageszeit. Etwas zu essen musste dennoch her. Dann würde sie sich um den Rest kümmern. Athena flog los.
Was mag nur dahinterstecken? Eine Eule, die Mäuse rettet. Und in der Maus offenbar jemanden wiedererkennt? Verrückte Geschichte. Und was passiert eigentlich mit der Orgel? Hierüber erfahren wir nächste Woche mehr!
Text: Wibke Ladwig